In der Stille der Yogastunde höre ich sie.
Diese mir so bekannte Stimme, die ich im Alltag schon lange nicht mehr hören kann.
Leise wispert sie vor sich hin und lässt Bilder vor meinem inneren Auge entstehen, Gefühle emporsteigen, die sich wie ein warmer Ball in meinem Bauch ausbreiten.
#grünerwirdsnicht – klingt es verschmitzt vom Beifahrersitz, ich kichere leise auf der Rückbank in mich hinein. Mein Großvater räuspert sich, lacht auf und fährt los.
Die heiße Tasse Kakao steht dampfend auf dem Küchentisch, ich rühre und rede. Lasse allen Schmerz hinaus und sie sagt, es ist in dir – #grünerwirdsnicht meine Liebe, mach das, was dein Bauch dir sagt – denn sie sah, was ich noch nicht sehen konnte.
Meine Großmutter hat mich viel klarer sehen können als ich für eine lange Zeit in meinem Leben. Und mir auch viel mehr zugetraut, als ich mir selbst.
Sie war mein Fels in der Brandung, mein sicherer Hafen, wenn das Meer zu wild wurde. Und sie hat mir oft im richtigen Moment den entscheidenden Stubs gegeben, so ganz ohne Worte.
Taten statt Worte
Denn sie handelte mehr als sie sprach.
Ihre Zuneigung und ihre Liebe zeigte sie viel mehr durch ein Lächeln, einen warmen Blick, eine feste Umarmung oder eine frisch gebackenen Lieblingskuchen.
So selten sie verärgert war, sie konnte es nicht verstecken – ihre eckig nach oben gezogenen Augenbrauen, ihre gekräuselten Grübchen, die unruhigen Hände – sie verrieten, wie es in ihr tobte.
Worte fielen wieder kaum, dafür war halt zu wenig oder zu viel Salz in der Suppe, die Bluse zu heiß gebügelt, der Kuchen brannte an.
Nachdem sich der innere Sturm verzog, roch es nach warmem Hefekuchen und Kakao im Haus. Sie konnte so wunderbar verzeihen. Und allein durch ihren Blick einem ein Zuhause geben.
Sie – mein kleiner König Dezember in meiner Tasche, die leise Stimme in meinem Ohr, der Impuls aus dem Bauch heraus. Sie pflanzte schon früh die Samen in mir, die ich heute ernte.
Wurzeln und Flügel
Es hat viele Jahre nach ihrem Tod gebraucht diese kleinen Sämlinge wieder zu finden und wachsen zu lassen. Aber die zuvor geschenkten Wurzeln und Flügel haben mich getragen, so ganz tief in mir drin.
Der Gedanke an diesen vermeintlich unbedeutenden Ausspruch #grünerwirdsnicht, lässt mein Herz tanzen und meine Augen leuchten, denn er bringt meine Gedanken an diesen wunderbaren Menschen zum Fliegen. Vermischt mit etwas Wehmut, aber mit so viel Liebe und Dankbarkeit füllt sich mein Herz.
Diese kleinen besonderen Momente sie haben sich tief eingebrannt in meine Erinnerung und prägen meinen Weg.
Heute ist meine Großmutter nur noch in meinen Gedanken zu Hause. Und doch ist sie mir heute näher denn je. Näher als ich es je für möglich gehalten habe. Denn sie lebt in mir weiter und ich trage sie hinaus in die Welt – in meinen Gesten, meinen Erzählungen, meiner Art zu kochen, die Welt zu sehen, Dinge zu lernen… und ich gebe sie weiter und teile sie mit den Menschen, die es möchten.
„Die beste Zeit ist immer jetzt und viel grüner wird es nicht. Nur gehen musst Du noch alleine, denn das kann keiner für Dich.“…
sagt Julia Engelmann in ihrem Gedicht „grüner wird’s nicht“.
Und so gehe ich vorwärts, nicht zurück. Zerzaust von den Böen wollen die sich öffnenden Wege begangen werden – abbiegen erlaubt! Nur die Gedanken schweifen ab und an zurück und nehmen die Erinnerung mit in die Gegenwart, um aus ihr zu lernen und zu wachsen.
#grünerwirdsnicht erinnert mich daran!
Und so wird dieser Ausspruch zu einer Hommage an diese so wunderbare Frau. Und ein Schubs zum Aufbruch an mein inneres Kind – um seinen Weg zu gehen. Voller Vertrauen und dem Leben entgegen!
Liebe Grüße
Aurelie aka Frau Zeilenfalter
P. S.: Aurelie ist mir bekannt und deshalb darf sie gerne auch ihr Inkognito zelebrieren. Wer weiß, vielleicht spickt sie beim nächsten Mal schon ein bisschen mehr hinter dem Buch hervor ;-))).
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Liebe Aurelie, liebe Bettina,
Ein wunderbarer Text mit ganz viel Erinnerung. Er hat mir Gänsehaut bereitet, die gut tut und selbst Erinnerungen weckt.
Danke dir, danke euch.
LG Conny
Liebe Aurelie,
so wundervoll geschrieben, so voller Liebe für diese Frau, so berührend, vielen Dank fürs Teilen Deiner Worte, die ein zauberhaftes Bild Deiner Großmutter zeichnen.
Ganz liebe Grüße und ich freue mich auf weitere Texte und gemeinsame Yinyoga Stunden
Christina
So wunderbar und anrührend geschrieben- grüner wird’s nicht- es ist ZEIT! finde ich absolut lebensbejahend und mutmachend! Danke für diesen schönen Beitrag!