Warum ich die alltagsfeierin geworden bin – Teil III – Tagesklinik

diealltagsfeierin.de, Warum ich zur Alltagsfeierin geworden bin. Thema Tagesklinik

Durch den Re-Launch meines Blogs und dadurch, dass hier über die Jahre doch so einige neue LeserInnen dazugekommen sind, habe ich diese Blogartikel-Serie, quasi eine Sonderausgabe meiner „Seelensachen“, gestartet. Heute geht es insbesondere um die Zeit in der Tagesklinik.

Im Teil 1 habe ich dich ins Jahr 2010 mitgenommen und dir von meinem herausfordernden Alltag als Workingmom von drei Grundschulmädchen erzählt.

Teil 2 beschäftigt sich mit meinem absoluten Tiefpunkt im September 2012, der aber der Anfang von meiner alltagsfeierlichen Lebensweise war.

Das Jahr 2013 – Juli 2013

Heute befinden wir uns Anfang 2013. Gesundheitlich geht es mir nicht unbedingt besser: zu meiner tiefen Traurigkeit und Erschöpfung haben sich noch dauernde Bauchschmerzen dazugesellt. 20 kg habe ich deshalb schon, einfach nebenher, abgenommen und ich finde das sogar gut! Denn mein Gewicht ist wohl vermeintlich das Einzige, das ich noch im Griff habe. Ein mächtiges Gefühl in einer Zeit, die sich sonst eher ohnmächtig anfühlt.

Nach einigen Umwegen habe ich nun zumindest schon mal eine Psychologin, bei der ich einmal die Woche einen Termin habe. Ich funktioniere, arbeite und erledige den Alltag, um abends nur noch schlafend zusammenzubrechen.

Ob meine Umwelt etwas merkt? Ich weiß es nicht, angesprochen werde ich nur auf den Gewichtsverlust.

Irgendwie kommt ein Termin bei einer Internistin zu Stande, es wird eine Magen- und Darmspiegelung gemacht und diese ist wiederum ein Meilenstein auf meinem langen Weg.

Bei der Besprechung zum (vorläufigen) Befund ist mein Mann dabei und dieser neigt dazu, Gespräche auf eine sehr freundliche Art und Weise einzuleiten. Kurz zusammengefasst: Smalltalk wie er im Buche steht und das ist nun eigentlich auch nichts Verwerfliches…

Depression ist eine Krankheit!

„Stopp! Es geht hier gerade nicht um meine Herkunft, Herr H.!“, so unterbricht die Ärztin meinen Mann. „Wissen Sie eigentlich. wie schwer erkrankt Ihre Frau ist?“, fragt sie anschließend.

Mein Mann verstummte und sie sprach weiter: „Ihre Frau hat neben der leichten Gastritis, die wir entdeckt haben, sicherlich schwere Depressionen. Ich empfehle ihr inständig einen Krankenhausaufenthalt!“

…das saß!!!! Sie war die erste Fachfrau, die das so deutlich auf den Punkt brachte.

Der Weg, den ich die letzten Monate gegangen war, war doch so von einigen Spezialisten gepflastert. Keiner, kein einziger sprach das so klar aus, sondern es wurde durch Ratschläge heruntergespielt:

„Nehmen Sie einfach Ihre Medikamente. Machen Sie regelmäßig Pausen (wie witzig als alleinerziehende Dienstags – Freitags-Mama mit einem Halbtagesjob, der sich an den Endzeiten des Unterrichts der Mädels orientiert…). Gehen Sie jeden Tag 20 Minuten an die frische Luft.“ Das waren die nicht sehr hilfreichen Tipps, die ich von den Experten bekommen habe.

Was tun???

Also was tun, mit dieser sehr direkten Aufforderung, die so gar nicht in unser löchriges Betreuungssystem für die Kinder passen konnte? Denn ein Mann, bei dem das Reisen beruflich den Hauptteil der Aufgaben einnimmt und das Über-Nacht-Wegsein als Stellenbeschreibung inkludiert hat, kann nicht einfach wochenlang zu Hause bleiben.

„Familienpflege!“ wirst du nun erwidern. Nur die bleibt nun mal nicht über Nacht und ist auf acht Stunden begrenzt. Die Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung reißen? Auch das war für uns ein No-Go, sollten sie doch am besten gar nichts merken. „Großeltern?“ Alle zu weit weg oder auch einfach viel zu alt, um da noch unterstützen zu können…

Schon irgendwie ausweglos, so hat sich das für mich angefühlt.

Klinik, bedeutete für mich: komplett weg, das war der Kenntnisstand, den ich damals hatte.

Wenn Dinge ausgesprochen werden – Es gibt eine Tagesklinik 

Es kam aber dadurch trotzdem etwas ins Laufen, denn eine Doku von „37 Grad“ im ZDF, die ich entdeckte, war meine Rettung.

Darin ging es um Depressionen und eine der Interviewpartnerinnen besuchte deswegen eine Tagesklink.

Es gibt Tageskliniken, bei denen man abends wieder zu Hause sein kann? Das war für mich ein erster Lichtblick seit langem.

Diesen Ansatz habe ich dann mit als Thema zu meiner Psychologin genommen und vielleicht fragst du dich jetzt, warum sie mir das nicht selbst vorgeschlagen hat? Im Rückblick glaube ich, dass es wichtig war, diesen Impuls selbst gehabt zu haben. War es doch Teil davon, dass ich überhaupt ansatzweise verstanden habe, dass ich mich nicht nur in einer traurigen Phase befand, sondern erkrankt war und nun aktiv werden konnte.

Was ist eine Tagesklinik?

Tageskliniken gibt es für viele medizinische Bereiche. Bei mir handelte es sich um eine psychosomatische Tagesklinik, die ihren Schwerpunkt auf psychischen Erkrankungen mit körperlichen Symptomen hat.

Du kommst morgens in diese Klinik, die eher einer WG gleicht und hast unterschiedliche Therapien, die dich durch den Tag begleiten, das kann z. B. folgendes sein:

  • Einzel- und Gruppenpsychotherapie
  • Entspannungsverfahren
  • Bewegungs-, Körper- Sporttherapie
  • Gestaltungstherapie
  • Aktivitäten in der Gruppe
  • Gemeinsame Unternehmungen

Begleitet wird das durch ein Team aus Ärzten, Psychologen, Therapeuten und speziell ausgebildeten Pflegekräften.

Für wen kann das infrage kommen?

Für Patienten mit

  • depressiven Störungen
  • Angsterkrankungen
  • Zwangsstörungen
  • psychosomatischen Reaktionen auf schwere Belastungen wie Lebenskrisen, Verlusterlebnisse, berufsbezogene Problematiken
  • Somatisierungsstörungen
  • chronischen Schmerzzuständen
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Menschen mit Trauma-Erfahrungen
  • dissoziativen Störungen
  • Essstörungen
  • somato-psychische Störungen, also Störungen, die z.B. in Zusammenhang mit einer weiteren Erkrankung z.B. Krebs entstehen

„Drei Monate Tagesklinik und dann bin ich wieder fit!“

Das war mein Gedanke, als ich die Zusage für einen Platz im April erhielt und so habe ich meine „Auszeit“ auch in meiner Firma geplant.

Ich habe bis zum letzten Tag gearbeitet, in mir nochmals alle Kräfte mobilisiert und auch nur meinen direkten Chef informiert, dass ich am Montag erstmal nicht kommen werde.

Meinen Arbeitsplatz habe ich wie geleckt verlassen, den Azubi hatte ich im Mahnwesen fit gemacht und die Ablage war bis zum letzten Blatt erledigt. So wie es mir mein Perfektionismus diktierte. So und nicht anders!

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Ver-rückt!?!?

Mmmhhh, ich denke schon ;-)))) und inzwischen sehe ich das auch nur noch als eine Funktion (einen Ausdruck) meines damaligen bedenklichen Zustandes…

In der Tagesklinik wurde ich äußerst nett aufgenommen. Trotzdem habe ich mich total falsch gefühlt, unwirklich und auch irgendwie deplatziert. Um das zu überspielen, bin ich meinen alten Mustern treu geblieben… habe auch hier wieder alle versorgt, immer schön den Tisch vorbereitet, Kaffee gekocht und so ein Gefühl der Heimat geschaffen.

Pflichtschuldig habe ich alle Therapien besucht und bin oft über meine Grenzen gegangen.

„Wie geht es Ihnen?“, das war die Frage zum Start in den Tag, die alle am Tisch reihum beantwortet haben. Ein „schlecht“ oder „gut“ war da nicht gefragt, sondern man konnte und sollte seinen persönlichen Gemütszustand genau beschreiben. Alle haben zugehört und daran durfte ich mich erstmal wieder gewöhnen.

„Wie geht es mir?“ darauf konnte ich oft nur mit tiefster Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit antworten, denn ich hatte dort wohl die Büchse der Pandora geöffnet und diese lief nun über mit allem, was ich Jahrzehnte lang unter den Teppich gekehrt hatte.

Ab und an blitzten nun auch schon Bemerkungen bezüglich eines komplett stationären Aufenthaltes auf, die ich immer rigoros ablehnte, denn wie sollte es funktionieren?

Die Kinder waren nun gut über den Tag betreut, wenn ich nach Hause kam, konnte die Familienpflegerin gehen. Alle anfallenden Haushaltstätigkeiten waren erledigt und nur noch das Ins- Bett- Bringen der Kinder war übrig.

Out of Order

In einer Gestaltungstherapie kam diese Begrifflichkeit bei mir hoch, die sich wie ein Echo im Kopf festsetzte: „Out of order, out of order, out of order……“.

So fühlte ich mich, wie ein Gerät, das eigentlich auf den Schrottplatz gehörte…nicht mehr funktionsfähig? Also weg damit…

Stationäre Aufnahme nach der Tagesklinik

Die maximale Aufenthaltsdauer von drei Monaten in der Tagesklinik neigte sich ihrem Ende zu und mir ging es noch immer nicht wirklich besser.

Zusammen mit der Schwester, die uns betreute, führte ich einige Gespräche und eine Möglichkeit entwickelte sich. Die Sommerferien standen vor der Tür und mein Mann hatte seinen dreiwöchigen Jahresurlaub geplant, außerdem war eine Reise nach Kroatien gebucht.

Somit entwickelten wir den Deal: Sollte ich einen Platz zum Ferienanfang auf der psychosomatischen Station der Klinik bekommen, würde ich diesen annehmen. Meine Familie wäre erstmal gut versorgt und würde allein in Urlaub fahren, so dass ich mich wirklich das erste Mal seit Jahren nur um mich kümmern müsste.

Ich bin mir sicher, das Wohlwollen der ganzen Fachkräfte der Tagesklinik hatte da ihre Finger mit im Spiel, so dass ich genau diesen Platz bekommen habe…

„Ich gebe mir die Zeit, die ich brauche, um gesund zu werden!“

Auch dieser Funke begegnete mir in einer Gestaltungstherapie und war nach vielen Jahren das erste bewusste „Ja“ zu mir selbst, um zu gesunden.

Hier mache ich heute den nächsten Cut, denn auch diese Seelensache ist sehr ausführlich geworden…weiter geht es im nächsten Teil dann mit dem August 2013 und ich zeige dir einen Blick hinter die Kulissen einer psychosomatischen Station einer Klinik.

Findest du dich in meinem Text wieder, dann bitte ich dich, dir Hilfe zu holen! Wende dich an eine wichtige Bezugsperson, wenn du keine Kraft hast, selbst aktiv zu werden. Denke daran: Depression ist keine Befindlichkeit, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung, EGAL was dein Umfeld dir einreden will.

Ein paar Telefon-Nummern habe ich auch noch für dich:

Bundesweite Hilfs- bzw. Beratungsangebote für akute Krisensituationen:

Ärztlicher Bereitschaftsdienst (Notarzt): Tel. 116 117.
24 Stunden Bereitschaftsdienst, Hausbesuche. Der Allgemeinarzt kann vor Ort Medikamente geben und falls nötig, die Einweisung in eine Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie veranlassen. www.kbv.de

Telefonseelsorge: Tel. 0800 – 111 0111 oder 0800 – 1110222
Anonyme, kostenfreie Beratung zu jeder Tages- und Nachtzeit: www.telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon “Nummer gegen Kummer”: Tel. 0800 – 111 0333 
Anonyme, kostenfreie (erscheint nicht auf der Telefonrechnung) Beratung von Montag bis Samstag von 14.00 bis 20.00 Uhr, Online-Beratung per E-Mail möglich. Elterntelefon Tel. 0800 – 111 0 550. www.nummergegenkummer.de

(Quelle: https://www.br.de/radio/bayern2/psychischer-notfall-hilfe-bei-seelischen-krisen-100.html)

Ich wünsche dir nun eine gute Wochenmitte. Gerne darfst du mir auch Fragen stellen.

Mittwochsfeierliche Grüße

Bettina, diealltagsfeierin.de

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Merk's dir für später!

4 Kommentare

  1. Liebe Bettina,

    Danke daß du so offen mit deiner Erkrankung umgehst. 2013 befand ich mich in einem ähnlichen Zustand wie du und Dank lieber Menschen, Ärzten und Therapeuten habe ich es da raus geschafft. Die Depression begleitet mich immer, mittlerweile beruflich und ich bin froh, anderen helfen zu können.

    Ganz liebe Grüße Mirjam

  2. Liebe Bettina,
    was Du alles geschafft hast, und wie Du “funktioniert” hast, ist unglaublich.
    Danke, dass Du so offen darüber schreibst – allzu oft denken Leute doch immer noch, dass Depressionen “nur” bedeuten, dass jemand mal traurig ist. Doch dass da so viel mehr dran hängt, und sich Betroffene oft arg quälen um den Alltag zu meistern, um nicht aufzufallen, das wird oft nicht gesehen.

    Von Herzen danke.

  3. Liebe Bettina,
    ich bin so berührt, dass mir schlicht die Tränen kommen. Darüber, was du aushalten ‘musstest’, bis es jemanden gab, der dem Kind einen Namen gegeben hat.
    Aber auch darüber, wie sicher du deinen Weg über all diese Hürden genommen hast, wie du hier alle anderen motivierst, sich Hilfe zu holen. Denn genau das sehe ich als das große Problem in dieser, unserer Gesellschaft: Echte Hilfe zu holen und dann auch zu bekommen.
    Ich kann mit Worten nicht ausdrücken, wie sehr ich mich freue, dass du darüber offen berichtest, dass du es geschafft hast und was du danach geschafft hast und dass wir uns hier getroffen haben.
    Alles Liebe,
    Nicole

    • Danke Nicole, jetzt habe ICH tränen in den Augen. Ich mache damit weiter, denn jetzt bin ich endlich stark genug die Krankheit Depression beim Namen zu nennen.

      Schön, dass es dich gibt und wir so miteinander verbunden sind.

      Liebe Grüße

      Bettina

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