Gastautorin-Sybille: Vom inneren und äußeren Aufräumen        

Gastautorin-Sybille: Vom inneren und äußeren Aufräumen, diealltagsfeierin.de       

Es gibt ihn tatsächlich, den Zusammenhang zwischen dem inneren und dem äußeren Aufräumen. Zwischen der Ordnung in unserem Zuhause und der inneren Ausgeglichenheit oder dem Stau unbewältigter Probleme und Unzufriedenheiten. In Lebensphasen, in denen wir durch Umbrüche gehen, sei es durch eine Trennung, eine Krankheit oder einen Jobwechsel, in denen wir uns neu sortieren und aufstellen müssen, tun viele Frauen das auch im Außen. Sie verändern ihre Frisur, ihren Kleidungsstil oder renovieren die Wohnung und räumen um und misten aus.

Im TV hörte ich einst eine Haushaltscoachin sagen: Die Besteckschublade in der Küche sagt mir immer viel über den inneren Zustand der Küchenbesitzerin. Seitdem achte ich immer auf peinliche Ordnung in meiner Besteckablage. 😉

In diesem Sommer wurden wir von einem sehr heftigen Unwetter überrollt. Sechs alte und starke Kiefern wurden quasi geköpft. Der Garten sah aus wie ein Schlachtfeld. Und der Keller war auch vollgelaufen. Das Regenwasser wurde trotz dreier Scheiben in zwei Räume gedrückt, als hätte jemand einen Wasserhahn voll aufgedreht. Da wir nicht mehr ganz jung sind, musste (neudeutsch durfte) der Sohn zum Helfen antreten. Die Auslegware musste raus, nachdem wir das Wasser herausgeschippt und abgesaugt hatten. Dazu mussten die Räume erst einmal leergeräumt und später wieder eingeräumt werden. Inklusive dreier uralter, sehr schwerer, aber unglaublich praktischer alter Wirtschaftsschränke.

Die Wirtschaftsschränke und ihr Inhalt

Und jetzt wurde es peinlich: Unsere schönen Sammlungen, die aus der Auflösung von vier Haushalten stammten, kamen zum Vorschein. Ich bin ein DIY- und Dekofan und mache dabei sehr gern auch Upcycling. Da kann ich fast alles gebrauchen.

So gab es eine Sammlung besonders geformter oder gefärbter Flaschen, aus denen einmal coole Mitbringsel werden sollten. Allerdings: so viele Besuche werde ich in den verbleibenden Jahren gar nicht mehr machen und irgendwann werde ich vielleicht gar nicht mehr eingeladen, weil niemand mehr meine „Kunstwerke“ sehen oder haben will. (Darf die/der Beschenkte so etwas aussprechen? – Aber das ist ein anderes Thema!) – Kurz und gut: mit fünf Ausnahmen wurden alle Flaschen entsorgt. Ebenso die meisten der schönen alten Weckgläser.

Ich muss gestehen: mir blutete das Herz. Aber nachdem die im Second Hand Kaufhaus auch niemand haben wollte, blieb nur noch der Glascontainer. Die etwa 30 nigelnagelneuen Geschirrhandtücher wollte auch niemand. Teilweise als Teil einer Aussteuer noch mit Initialen handbestickt. Und und und. Ich habe Loslassen geübt. Teilweise musste ich dabei den Widerstand meines Mannes überwinden, der gern über jedes im Kleidercontainer entsorgte Laken diskutiert hätte.

Plötzlich kommt etwas in Bewegung

Seither habe ich die Aufräumeritis. Ich möchte meinen Kindern ersparen, einmal so viel Altes entsorgen zu müsse

n wie das beim Tod meiner Schwiegermutter der Fall war. Meine Mutter hatte als Witwe den Anspruch, die Hinterlassenschaften gering zu halten. Es blieb genug übrig. Und leider habe ich dabei erlebt, dass auch Dinge entsorgt wurden, die ich gern übernommen hätte. Wenn dies auch vorrangig eher persönliche Sachen wie ihre alten Zeugnisse (die durchaus vorzeigbar waren!), Briefe, Zeitdokumente waren. Ich hätte so viele Fragen an sie, die mir heute niemand mehr beantworten kann. Im Gegensatz dazu steht die Sammlung der Briefe, die sich meine Schwiegereltern zwischen 1941 und 43 nahezu täglich geschrieben hatten. Welch Schatz!

Viele Entscheidungen standen also an: Was brauchen wir einfach nicht mehr? Was ist mit einer Geschichte verbunden und hat eine emotionale Bedeutung? Was würden die Kinder gern bewahren? Und mit den Entscheidungen kamen viele Erinnerungen hoch.

Die Sammlung der Geo-Zeitschriften meines Mannes war für mich noch relativ leicht zu entsorgen. Einige Artikel habe ich noch gelesen, aber die waren ja auch nicht mehr auf dem neuesten Stand, da sind wir ja heute verwöhnt. Meine eigenen Belletristikbücher konnte ich ebenfalls relativ leicht aussortieren: Nur Bücher, die ich vielleicht doch noch einmal lesen werde, Bücher meiner Lieblingsautorinnen und Bücher, die in meinem Leben eine besondere Rolle gespielt haben, dürfen noch weiter in meinem Bücherregal wohnen.

Bücher, die besondere Herausforderung

Bei den Zeitzeugenbüchern, wie ich sie nenne, wird es schon schwieriger. Ich finde es unheimlich spannend, beispielsweise in alten Erziehungsratgebern zu stöbern, egal ob von 1934 oder von 1974. Können wir nicht unsere eigene Geschichte mit Hilfe solcher „Dokumente“ besser verstehen?

Es wartet auf mich die Sammlung von Märchenbüchern aus aller Welt, die meiner Schwiegermutter gehört hat. Sie war eine Büchernärrin und Hardcoresammlerin von Büchern. Die waren bereits nach ihrem Tod schwer zu „entsorgen“. Verkaufbar war nur ein kleiner Teil. Niemand will schließlich sämtliche Ausgaben von Fontane mehr haben oder lesen. Und nicht einmal mehr für die Bücherzellen (die ich in den letzten Wochen regelmäßig bestückt habe), waren die meisten damals noch geeignet. Kochbücher? Werden wohl ebenfalls aussterben. Auch ich suche eher im Internet nach einem Rezept als fünf Bücher durchzublättern.

Was mache ich also mit den Märchenbüchern? Damals haben wir Bücher sowie auch die Geo-Sammlung und unsere Jahrzehnte umfassende Sammlung der DDR-Kult-Zeitschrift „Das Magazin“ (die es übrigens tatsächlich noch gibt) bei ebay erfolglos angeboten. Hunderte von Büchern bei Momox und co einzugeben, die meisten ohne Code, wäre eine sehr zeitintensive Angelegenheit geworden. Vielleicht würde ich die Märchenbücher ja noch einmal lesen und vergleichen, wie bestimmte Themen in den verschiedenen Ländern Parallelen haben, dachte ich damals. Heute habe ich keine Lust mehr darauf. Damals dachte man noch „Kinder brauchen Märchen“, wie das gleichnamige Buch von Bruno Bettelheim hieß. Heute denken viele Eltern anders. Beziehungsweise die Märchen haben sich völlig verändert. Und mit ihnen nicht selten ihr „Outfit“, immer greller und actionreicher.

Kinderbücher

Dann gibt es ein Regal mit Kinderbüchern unserer beider Familien und denen unserer Kinder. * „Struwwelpeter“ – klar, schwarze Pädagogik, geht heute gar nicht mehr. Hansgeorg Stengel, ein damals bekannter und beliebter DDR-Autor, hatte eine Neufassung geschrieben und illustrieren lassen. Da gab es dann nicht mehr den Daumenlutschenden Konrad, dem der Schneider beide Daumen abschnitt, sondern die Daumenlutschende Sibylle. Der sind über Nacht die Daumen fortgelaufen. Möchte ich auch keinem Kind mehr zumuten.

Unsere Kinder liebten die Zeitschrift Bummi. konzipiert für Kindergartenkinder. Ich mochte und mag ihre Gestaltung. Natürlich gab es auch die „rot gefärbten“ Geschichten zum Internationalen Frauentag oder zum Tag der NVA (nationalen Volksarmee) und über den großen Freund Sowjetunion. Aber doch eher selten. Dafür viel Anregendes zum Mitmachen und immer einen Mittelteil mit Erziehungstipps für die Eltern. Sind nicht auch gerade diese Zeitzeugen wichtig, unser Leben damals zu verstehen? So manche Geschichten wollten nicht selten die Kinder motivieren, sich richtig, also brav zu verhalten. Dies war damals zumindest teilweise in Westdeutschland ja nicht anders. Nur das vermittelte Frauenbild unterschied sich deutlich. Da hieß es in einem Kinderlied im Osten schon „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht…“) – Wenn ich so durchblättere, tauchen die Väter erstaunlich wenig auf.

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Fotocredit: Sybille

Wenn sich die Klassiker verändern…

Viele Bücher wie die von Karl May oder „Onkel Toms Hütte“ sind heute zumindest umstritten. Aus dem Klassiker „Jim Knopf“ hat der Verlag jetzt umstrittene Passagen selbst entfernt. Diskutiert werden in der letzten Zeit sogar „Pippi Langstrumpf“ und „Die kleine Hexe“ – weil sie sexistische, rassistische oder nicht mehr zeitgemäße Inhalte enthalten. Ich liebte als Jugendliche die Bücher von Liselotte Welskopf-Henrich, der „Frau May“ des Ostens. Gar nicht mal ihre Vorlagen für die Filmklassiker wie „Die Söhne der großen Bärin“, sondern ihre Buchreihe über das Leben der „Indianer“ in der damaligen Jetztzeit (60er/70er Jahre). Nach meiner heutigen Einschätzung recht realistisch dargestellt, aber damals sagte man eben noch Indianer. Sollte der Begriff durch das heutige korrekte Native American ersetzt werden? Oder reicht es nicht, eine klare Positionierung vorauszuschicken, dass heute besser vermieden wird, was andere Menschen eben kränkt oder diskriminiert?

Ich habe jedenfalls erst einmal sechs Stapel gebildet:

  • „Zeitzeugenbücher“ aus der Kindheit unserer Eltern
  • Bücher, die mir als Kind oder Jugendliche etwas bedeutet haben (oder meinem Mann), mit ihnen sind einige Kindheitserinnerungen verbunden *
  • Bücher, die meinen Kindern einmal wichtig waren
  • „Zeitzeugenbücher“ aus der DDR
  • Zeitlose Klassiker
  • moderne Kinderbücher.

Und dann lese ich mich fest.

Da schmunzle ich bei Felix Riemkastens „Ein Kind lebt in die Welt hinein“ von 1934.

Foto oder Text

„Alles, was das Kind anging, mußte damals von Mütti getan werden. Vati konnte für das Kind höchstens insofern etwas tun, als er für Mütti dies und jenes zu tun versuchte, und dabei offenbarte sich zum ersten Male richtig der gute Wille Vatis, aber auch seine völlige Unbrauchbarkeit in praktischen Dingen. Das ging so weit, daß Mütti ihn schließlich bat, von jeglicher Hilfsarbeit lieber abzusehen. Und Vati, leider, ist innerlich so gebaut, daß er nicht ohne ein tiefes, stilles Vergnügen sich derart wegschicken ließe.“ (Warum Mütti Mütti heißt, erschließt sich mir nicht.)

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Fotocredit: Sybille

Da frage ich mich beim „Kinderfreund“, einem Klassenlesebuch für die Unterstufe von 1923, dem ersten Bändchen genannt Märchenscherz, was hiermit den Kindern wie meiner Schwiegermutter vermittelt werden sollte. Nun, offenbar gab es ja noch mehr Bändchen mit anderen Schwerpunkten.

Mein Mann liebte seinen „Teddy Brumm“ am meisten, der eines Tages wegen unfreundlicher Behandlung fortlief in die weite Welt. Ein geliebter Klassiker war für uns auch „Das Wolkenschaf“, das von Christine erzählt und dem vom Himmel gefallenen Wolkenschaf, das sich vor Sehnsucht nach seinen Spielkameraden verzehrt.

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Von unseren Kindern gibt es zahlreiche Tierbücher. Fotobücher über Tierkinder. Aber auch eine ganze Reihe von Büchern a la „Ilka. Ein Tag im Leben eines Iltisses“. Haben die Illustrationen von Dieter Müller meinen Geschmack damals so stark geprägt, dass ich diese Buchgestaltung bis heute so sehr mag? Aus Tschechien gab es Bücher, die man heute wohl Pop up-Bücher nennen würde, die waren auch ein Renner. Meine Tochter war und ist ein Astrid Lindgren-Fan und liebte auch ihren Harry Potter sehr. Aber diese Bücher hat sie inzwischen in ihrem Bücherschrank stehen.

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Und dann gibt es Kinderbücher, die mich als Erwachsene so fasziniert haben, dass ich sie für die noch ungeborenen Enkel quasi kaufen musste: „Der Punkt“ und die wunderbunte Reihe von Mies van Hout beispielsweise.

Was für die nächste Generation aufbewahren?

Welche Bücher will ich nun für meine kleine Enkelin aufheben? Muss ich die nun alle vorher testlesen und ggf. auf den Index setzen?  Kann ich nicht mit ihr darüber sprechen und ihr erklären, was wir heute anders sehen oder sagen? Muss irgendwann auch Goethes Faust wegen seines Bildes der Frau gebannt werden?

Und wird die Enkelin die von mir für bewahrenswert erklärten Bücher überhaupt mögen? Die Lesegewohnheiten haben sich ja sehr verändert. Meine Tochter gab mir das Buch, das mich damals zur Auswahl ihres Vornamens inspiriert hatte, recht schnell als sozusagen „unzumutbar“ zurück. Viel zu viel Worte. Viel zu wenig Handlung. Die heutige Zeit ist viel schneller. Kinder werden heute ja dazu ermutigt (und sind dann oft recht rigoros darin), selbst zu wissen und zu entscheiden, was sie sich ansehen mögen und was nicht. Erwachsene sollen sie da eher wenig beeinflussen. Aber zum einen oder anderen verlocken würde ich sie schon gerne!

Bücher sind Schätze

Für mich sind die Bücher meine Schätze. Ich will sie bewahren. Für mich und andere. Ich denke an die Mühe, die es macht, so ein Buch zu schreiben, zu illustrieren und herauszugeben. Wenn ich dann irgendwann einmal nur noch in meinem Omasessel sitze, werde ich in den aufsteigenden Erinnerungen schwelgen können und damit noch einmal die Faszination meines ersten Lesens und später Vorlesens wiedererleben. Was auch immer danach mit den Büchern passieren wird.

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* Ich bin eine Erstgeborene. Leider gingen deshalb viele meiner Bücher automatisch an die 6 Jahre jüngere Schwester über. Nur einige konnte ich „retten“. Ein paar habe ich später als Erwachsene nachgekauft. Wie zwei Bücher von James Krüss. Ich bin schon gespannt, was mich an denen wohl so fasziniert hat. Das wird Winterlektüre!

Wie sieht es bei dir aus? Gibt es auch Bücher aus deiner Vergangenheit, die auch noch heute eine große Bedeutung für dich haben?

Ich wünsche dir einen schönen Donnerstag. Ich bin dann mal lesen :- ).

Viele Grüße

Syiblle

P. S. Einen weiteren Artikel von Sybille findest du hier.

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Quellen

  • Felix Riemkastens „Ein Kind lebt in die Welt hinein“ von 1934, Brunnenverlag Berlin
  • „Kinderfreund“, einem Klassenlesebuch für die Unterstufe von 1923, Schriftenreihe des Sächs. Pestalozzi-Vereins
  • „Ilka. Ein Tag im Leben eines Iltisses“ Günter Feustel, Altberliner Verlag 1987
  • „Teddy Brumm„  Heinz Behling, Eulenspiegelkinderbuchverlag
  • „Der Punkt“ Peter R. Reynolds,  Gerstenberg
  • „Das Wolkenschaf“ Fred Rodrian und Werner Klemke, Kinderbuchverlag Berlin
  • „Überraschung“, „Heute bin ich“, „Freunde“ von Mies van Hout,  aracari Verlag
  • „Mein Urgroßvater und ich“, „Der Leichtturm auf den Hummerklippen“ von James Krüss, Oetinger
  • „So ein Struwwelpeter. Lustige Geschichten und drollige Bilder“ Hansgeorg Stengel,  Beltz Der Kinderbuchverlag
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