Was wie ein Neujahresvorsatz klingt, ist das nächste kleine Projekt für meinen Alltag: Ich möchte mehr Sport machen, neue Leute kennenlernen und mehr Zeit in der Natur verbringen. Die perfekte Möglichkeit alles miteinander zu verbinden: Ich schließe mich einem Lauftreff an. Also mein Leben ans Laufen bringen. Diese Idee ist mir eines Abends gekommen, als ich mit einer Tasse Tee auf meinem gemütlichen Sofa sitze und meinen Blick auf die erleuchtete Terrasse und die dahinter liegenden, gerade noch zu erahnenden Wiesen und Wälder fällt.
Das Thema Laufen ist nicht ganz neu für mich. Letzten Sommer war ich bereits öfters laufen. Meine Laufstrecke beginnt unmittelbar hinter meiner Terrasse. Sie verläuft entlang des Flusses – der Rems – direkt am Wasser. Die Natur ist hier sehr abwechslungsreich. Mal läuft man auf Trampelpfaden durch Wälder mit alten Bäumen und kleinen Flussadern. Dann wieder am Rande von Wiesen und Feldern. Die Natur ist nie still. Gerade im Sommer sind überall Insekten und Vögel zu hören. Trotzdem erdet mich das Laufen in der Natur und sorgt in mir für Stille und Ausgeglichenheit. Bisher bin ich immer alleine und ohne Regelmäßigkeit gelaufen. Das soll jetzt anders werden. Mein neuer Wunsch fühlt sich daher herausfordernd, aber nicht unmöglich an.
Ich beginne von meinem Sofa aus die Recherche zu Lauftreffs in der Nähe. Es gibt Einen im nahegelegenen Monrepos-Park. Diese weitläufige, grüne Parkanlage mit Schloss und See bietet die perfekte Umgebung für ein gemeinsames Laufabenteuer. Der Lauftreff findet wöchentlich, donnerstags um 19:30 statt. Heute ist Donnerstag. In einer Stunde geht’s los. Wow wie cool, ich spüre wie eine Welle der Euphorie durch mich fließt: Jetzt fange ich etwas Neues an! Ich gehe los und setze meinen Wunsch in die Tat um.
Zurück in der Realität
Während ich mich inmitten von Gleichgesinnten begeistert über Stock und Stein laufen sehe, komme ich schlagartig auf den Boden der Tatsachen zurück: Es ist nicht Sommer, es ist Januar. Draußen ist es stockdunkel und das Thermometer zeigt -10°C. Ich habe keine Ausrüstung um bei diesen Bedingungen zu laufen. So total spontan kann ich meinen Wunsch doch nicht in die Tat umsetzen. Mist! Jetzt ist die Welle der Euphorie erstmal verflogen. Naja gut, der Lauftreff findet ja wöchentlich statt. Dann besorge ich mir eben jetzt die passende Ausrüstung und bin nächste Woche dabei.
Ich beginne also direkt mit einer Onlinerecherche. Es stellt sich heraus, dass ich keinen blassen Schimmer davon hatte, wie groß das Angebot an Laufausrüstung ist. Nach kurzem Stöbern entschließe ich mich die Dinge einfach zu halten und erstmal einen Blick in meinem Kleiderschrank zu werfen, bevor ich auf große Shoppingtour gehe. Das lohnt sich, denn ich stelle schnell fest: Die sportliche Grundausrüstung habe ich sogar schon. Selbst meine alten Laufschuhe sollten für den Anfang ausreichen. Nur eine Lampe muss ich noch besorgen. Klingt gar nicht mehr so viel. Darum kümmere ich mich morgen.
Am nächsten Tag erzähle ich auf der Arbeit ganz begeistert von meiner neuen Idee. Daraufhin leiht mir ein Kollege, ein alter Laufveteran, seine Stirnlampe. Schön wenn man bei seinen Projekten unterstützt wird! Das Angebot nehme ich gerne an.
Nach einem kurzen Test Anfang der nächsten Woche steht fest, diese Lampe soll es sein. Sie sitzt gut am Kopf, rutscht nicht und leuchtet den vorausliegenden Wegabschnitt taghell aus. Nur die knall-orange Farbe passt nicht so ganz zu mir. Ich bestelle mir eine Eigene in dezentem schwarz und meine Ausrüstung ist komplett. Der nächste Donnerstag kann kommen.
Zweifel
Der nächste Donnerstag ist da. In einer Stunde geht es los. Ich bin euphorisch und motiviert. Während ich erneut vor meinem inneren Auge als Teil der Gruppe durch den Monrepos-Park laufe, meldet sich auf einmal eine kleine, leise Stimme in meinem Kopf: Wann genau waren wir eigentlich das letzte Mal laufen? Stand im Internet nicht etwas von 10 km in 60 Minuten? Wann sind wir das letzte Mal 60 Minuten am Stück gelaufen? Und wann überhaupt 10 km? Wo ist der Treffpunkt im Park? Wie ist das Gelände da? Langsam aber stetig wird diese Stimme lauter. Ups, jetzt dreht sich das Karussell der Fragen und Zweifel aber auf einmal ziemlich wild in meinem Kopf. Von seiner Heftigkeit überrascht entscheide ich mich, lieber im schönen, warmen Wohnzimmer zu bleiben, als mich in die kalte, dunkle Unsicherheit zu wagen.
Nach ein paar Minuten Entspannung auf meinem Sofa meldet sich die innere Stimme erneut: Mist, jetzt haben wir gekniffen! Sofort habe ich schlechte Laune. Ich wollte doch Sport, Vernetzung und Natur in meinen Alltag holen. Und jetzt? Sitze ich hier auf meinem Sofa. Was mache ich jetzt? Was kann ich tun?
Entscheidungen
Jeder kennt diesen inneren Dialog: Mache ich den Schritt ins Unbekannte? Gehe ich auf fremde Menschen zu? Probiere ich etwas Neues oder bleibe ich beim Altbekannten? Neue Erfahrung oder gemütliches Sofa? Diese Fragen stellen sich jedem irgendwann und jeder entscheidet anders. Hier gibt es kein richtig oder falsch, kein gut oder schlecht. Das macht es ja so schwierig. Es kommt niemand vorbei und kontrolliert, ob wir uns für die Dinge entscheiden, die uns unseren Wünschen und Träumen näherbringen. Wir merken erst im Nachhinein, ob wir uns richtig oder falsch entschieden haben. Bedauern wir unsere Entscheidung, hat sie uns von unseren Wünschen entfernt.
Man muss sich nicht immer für das Unbekannte und Herausfordernde entscheiden. Aber am Ende ist es die Summe unserer Entscheidungen, die bestimmen, wie unser Leben aussieht. Bist du unzufrieden mit deinem Leben? Triff andere Entscheidungen. So einfach ist das – und gleichzeitig so schwer ;- ))) eines meiner geliebten Paradoxe.
Jetzt wird’s ernst
Nach diesem kurzen, inneren Hin und Her habe ich mich doch dazu entschieden loszugehen. Dank Navi finde ich den Treffpunkt, den großen Parkplatz am Parkeingang mühelos und die erste innere Hürde ist genommen. Die Laufgruppe ist schon unterwegs. Das liegt daran, dass mir mein Hadern eine Verspätung von 20 Minuten eingebracht hat. Gut, das war mir schon beim Aufstehen vom Sofa klar. Vielleicht habe ich ja Glück und treffe sie, wenn sie zurückkommen. Bis dahin genieße ich meinen ganz privaten Lauf.
Bevor ich starte, lasse ich den Blick schweifen. Wie schön es hier ist. Das barocke Schloss liegt, vom Licht angestrahlt wie ein Fixpunkt in der weitläufigen Dunkelheit. Ansonsten sorgen nur die kleinen Lichtpunkte der Laternen am Wegrand für Licht. Sie ziehen sich wie Perlenketten durch die Dunkelheit und führen die Besucher durch den Park zum Schloss.
Die Temperaturen sind heute perfekt zum Laufen. Nicht zu warm und nicht zu kalt. Ich setze meine Stirnlampe auf und los geht‘s. Nach ein paar Sackgassen und falschen Richtungen finde ich einen Rundweg. Er führt mich an der hinteren Seite des Schlosses vorbei und folgt dann den Konturen des Sees, der unmittelbar an das Schloss grenzt. Das Wasser liegt vor mir wie ein Teppich aus schwarzer Tinte. Es strahlt Ruhe aus und absorbiert das Licht und die Geräusche des Parks. Eine weitere Facette des schönes Naturpanoramas um mich herum.
Jede meiner Runden um den See führt mich erneut am Parkplatz vorbei. Jedes Mal halte ich Ausschau nach der Laufgruppe. Kommen sie gerade zufällig zurück?
Nach meiner vierten Runde sehe ich eine Gruppe von 15 Leuten auf dem Parkplatz. Laufkleidung, Stirnlampen, Dehnübungen. Das müssen sie sein! Ich beende meinen Lauf und biege ebenfalls auf den Parkplatz ein. Sofort geht mein innerer Dialog los: Gehe ich hin? Was soll ich sagen? Es werden immer mehr Leute…
Laufen zum ersten Etappenziel
Sicherheitshalber gehe ich erstmal zu meinem Auto. Trinken ist ja enorm wichtig nach so einem anstrengenden Lauf. Als ich so an meinem Auto stehe, mein Wasser genieße und die Gruppe aufmerksam mustere, erinnere ich mich an das Gefühl des Bedauerns, welches ich auf dem Sofa gespürt habe. Das gibt mir den entscheidenden Impuls. Ich traue mich und gehe auf die Gruppe zu. Zeitgleich erreichen drei weitere Nachzügler den Parkplatz. Das ist genau die Möglichkeit zum Gesprächseinstieg, die ich gebraucht habe. Ich erkundige mich, wie ihr Lauf war und erzähle ihnen von meiner Idee, in Zukunft mitzulaufen. Sie sind offen und freundlich, es entwickelt sich ein angenehmer Austausch. Kurz erklären sie mir die grundlegenden Abläufe: Welche Strecken sie laufen und das es Kleingruppen für unterschiedliche Geschwindigkeiten gibt. Zum Schluss verabreden wir uns für nächste Woche und ich verabschiede mich. Kurz, unspektakulär und doch ein kleiner Erfolg.
Als ich in mein Auto steige, fühle ich mich richtig gut. Ich bin stolz darauf, dass ich den Schritt auf die Gruppe zugemacht habe. Wenn ich so darüber nachdenke wird mir klar: Schon heute habe ich meinen Wunsch in die Tat umgesetzt. Sport, Vernetzung, Natur. Alles war dabei, nur anders (weniger) als in meinen Erwartungen.
Die Gruppe läuft 10 km am Stück in unter einer Stunde. Das schreckt mich ab, aber die Hürde für das nächste Mal ist trotzdem kleiner geworden. Ich kenne jetzt den Park, hatte Kontakt mit der Gruppe und konnte bei meinem Lauf in der Natur meinen Gedanken nachhängen. Gar nicht schlecht für den Anfang. Ich versuche es nächste Woche wieder.
Erwartungen
Mit hohen Erwartungen an uns selber verbauen wir uns oftmals so viele tolle Erfahrungen und Möglichkeiten. Am Anfang steht der Wunsch nach Veränderung und Neuem. Daraus wächst zum Beispiel die Idee von der Teilnahme an einem Lauftreff. Direkt danach kommt der innere Anspruch: Ich muss das hohe Tempo mithalten können. Ich muss souverän auf diese fremde Gruppe zugehen können.
In dem Moment, in dem die Idee in meinem Kopf entsteht, entsteht auch die Erwartung, sie sofort Realität werden zu lassen. Das, was bis gerade noch eine Herausforderung war, soll mit dem aufkommenden Wunsch sofort zu einer Selbstverständlichkeit werden. Ich habe eine tolle, neue Idee. Mein Leben hat jetzt bitte so auszusehen wie ich mir das in meinem Kopf vorstelle.
Das führt unweigerlich dazu, dass ich mich durch meine eigenen Erwartungen unter Druck setze. In den allermeisten Fällen schaffe ich es nicht, diesen hohen Erwartungen gerecht zu werden. Dann fühlt es sich so an, als wäre ich gescheitert und ich gebe auf. Oder ich kaufe zuerst noch eine teure Laufausrüstung, nur um dann festzustellen, dass mich das auch nicht schneller und offener macht. Und gebe dann auf. Die Hürde des inneren Anspruchs ist oftmals so hoch.
Einfach loslassen ;- )))
Es wird sehr viel einfacher, wenn man die inneren Erwartungen loslässt und sich auf den nächsten Schritt zur Umsetzung des Wunsches konzentriert. Dann kann aus einer kleinen, guten Idee allerdings schonmal ein Projekt für mehrere Wochen werden. Ist es das wert? So viel Zeit in eine Idee zu investieren? Sicherlich nicht bei jeder, bei manchen mit Sicherheit. Der beste Kompass um die richtigen Ideen weiter zu verfolgen ist die innere Freude. Wird die Freude auch bei der Umsetzung kleiner Schritte dieses Weges größer? Dann ist das eine heiße Spur. Folge der Freude und vertraue darauf, dass dich das Leben beschenkt. Fang mit kleinen Schritten an, ohne die inneren Erwartungen zu ernst zu nehmen. Dann machen deine Ideen, Wünsche und Projekte deinen Alltag bunt und lebendig. Im Handumdrehen kommst du aus dem Feiern gar nicht mehr raus. Versprochen :- ))).
Ach ja und das mit dem Vertrauen ins Leben ist auch so eine Sache. Gibt es dazu schon eine Geschichte in diesem Blog? Ansonsten wird es langsam mal Zeit…
Hoffentlich laufen wir schon bald nochmal ein kleines Stück gemeinsam.
Bis dahin,
Basti
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