Als ich anfange, diesen Gastartikel zum Thema Kuschelzeit und Bücher zu schreiben, ist es der erste Morgen (im Oktober), an dem die Welt draußen sich in einer dicken Nebelsuppe versteckt. Grau in Grau, der Himmel scheinbar bis auf die Erde gerutscht, alles in dicke graue Watte verpackt…
Definitiv ein Tag, um Herbst und Kuschelzeit zu verordnen!
Für mich bedeutet Herbst, anzunehmen,
- dass die Tage kürzer sind,
- dass die frühe Dunkelheit mit Kerzenlicht erhellt wird,
- dass die Kuscheldecke fürs Sofa parat gelegt wird
- dass der eigene Antrieb automatisch auf Sparmodus läuft.
Bettina hat für November das Monatsthema Kuschelzeit ausgegeben…
Bin ich dabei, aber Conny wäre nicht Conny, wenn ich nicht das Kuscheln auch auf Büchersicht übertragen würde und es sehr vielseitig auslege.
Here we are:
„Hundert Himmel“ von Astrid Ruppert*
Wie jedes Jahr verlassen die jungen Zilpzalpe ihr schützendes Nest am Boden.
Wie jedes Jahr spüren sie, dass sie Beine haben, um zu hüpfen, und Flügel, um zu fliegen, und eine Stimme, um zu singen. Sie spüren, dass nun die gemeinsame Vorbereitung beginnt auf das Ereignis, das alle Zilpzalpe des Waldes vereinen wird. Der große Flug gen Süden, der sie durch die Hundert Himmel führen wird.
Der kleine Zio sitzt am liebsten auf seinem Lieblingsplatz in der alten Buche und betrachtet den Wald, der ihn umgibt. Seine Freunde finden das langweilig und sind überzeugt, dass er etwas verpasst. Für Zio ist Langeweile das Beste, was es gibt, denn in der langen Weile kann er die Schönheit entdecken, an der alle anderen so geschäftig vorbeiflattern.
Und anders als seine Artgenossen singt er nicht nur einfach Zilp und Zalp, sondern poetisch besingt er den Wald, den Augenblick, das Leben, einfach alles…singt die allerschönsten Lieder, ähnlich einer Nachtigall.
Die anderen drängen ihn, den Fokus aufs Lernen von Flugtechniken zu lenken, um den großen Flug gen Süden im Herbst zu überstehen.
Wenn Zio dazugehören will, muss er versuchen, besser zu werden. Was bleibt ihm schon anderes übrig, als genau das zu tun, was alle tun, um mitzuhalten? Hat er überhaupt eine Wahl?
Im Sommer teilt er seine Zeit ein. Es gibt die Zeiten, in denen er trainiert und versucht, es seinem Schwarm gleichzutun. Bis der Teil des Tages beginnt, in dem er in Ruhe seine Welt beobachten und besingen kann, ist er schon müde. Dann ärgert er sich fürchterlich, denn diese Zeit ist seine eigene Zeit.
Als im Herbst der Wind sich dreht, werden alle von einer Unruhe erfasst: Der Aufbruch steht unmittelbar bevor.
Zio nimmt seinen ganzen Mut zusammen und entscheidet sich gegen den Flug in den Süden.
Er bleibt in seiner Buche. Allein.
Er erkennt, wie leicht sein Leben sein kann, wenn er sich nicht mehr für andere verstellen muss. Wenn er singen kann, wann er will.
Aber er erlebt auch, wie hart der Winter ist. Allein.
Die Futtersuche. Die Kälte.
Wenn niemand da ist, mit dem er kuscheln kann, sich warmhalten kann.
Wie wichtig Wärme durch andere ist…
Und erkennt, wie wichtig Nähe durch andere sein kann…
Die Geschichte von Zio ist eine kleine Erzählung über den Mut, anders zu sein. Über den Mut zu sich zu stehen, gegen alle anderen. Aber auch von der Erkenntnis, dass es nicht immer gut ist, allein zu sein.
„Und wir tanzen und wir fallen“ von Catherine Newman*
„Uns eint ein ganzes Leben voller Erinnerungen, Edi und mich, Ash.
Wir waren zusammen im Kindergarten und dann in der Grundschule. Wir gingen auf unterschiedliche Highschools, aber zusammen auf Konzerte von REM und David Bowie. Wir hatten bei jeweils der anderen eine Zahnbürste, zeigten unsere Knutschflecken und die verletzten Gefühle, unsere Ergebnisse sowohl bei den Aufnahmeprüfungen für die Uni wie auch bei den Schwangerschaftstests. Wir sind für ein halbes Jahr nach Italien gegangen, wo wir unser Körpergewicht in Gnocchi verspeisten und eine Nacht in einem Bordell in Nepal verbrachten, das wir versehentlich für eine Jugendherberge gehalten hatten. Wir führten durch die Hochzeit der jeweils anderen. Wir hielten die neugeborenen Babys der anderen im Arm und später dann, während ihrer Behandlung und meiner Trennung, hielten wir einander die Hand und das Herz fest.“
Edith und Ashley, zwei Freundinnen, die ein ganzes Leben füreinander da waren, gehen ihren letzten gemeinsamen Weg. Die krebskranke Edi verbringt ihre letzten Tage in einem Hospiz und Ash kümmert sich um sie.
Die beiden nehmen jeden Leser mit in ihre Einheit, in ihre Zweisamkeit, in ihre Erinnerungen. Während des Lesens begibt man sich in eine Art Kokon, in dem geweint, gelacht und gelebt wird.
Eine Hymne auf den Zusammenhalt von Freunden und Familien.
Auf unsere Bereitschaft, uns selbst und einander unsere Schwächen und Fehler zu verzeihen. Sich vertrauensvoll jemandem ganz und gar hinzugeben, sich auffangen zu lassen und einfach nur zu sein.
Die Autorin macht mit ihrem Buch Zurückgebliebenen Mut, nach einem endgültigen und schmerzhaften Abschied einen Weg zu finden, mit der Erinnerung an ihre Lieben weiterzuleben.
Ich habe das emotionale Buch in Form von einem Hörbuch erlebt und auch da hat es mich zutiefst berührt.
Absolute Lese- oder Hörempfehlung!
„Dunkel der Himmel, goldgelb die Melodie“ von Anne Stern*
„Sie spürte eine Mischung aus Stolz auf dieses offensichtliche Talent ihrer Tochter – und Angst. Die Angst davor, was diese Liebe zur Musik bewirken würde, welche Kräfte sie entfesseln konnte – und ob die Tochter diesen Kräften am Ende vielleicht nachgeben würde. Die Musik war mächtig, sie war mächtiger als alles andere. Mächtiger als Bilder, als Worte, ja mehr als die Liebe selbst, dass wusste sie selbst nur zu gut…“
In dieser Geschichte fängt die Musik auf, hüllt ein, gibt Kraft, wärmt, gibt einem einen Platz, ein Zuhause und macht Angst.
Schauplatz ist Dresden und das neu eröffnete Hoftheater, die spätere Semperoper, und die Leser werden ins 19. Jahrhundert zurückversetzt.
Zu dieser Zeit dürfen Frauen keine beruflichen Träume haben, wie die junge Elise Spielmann. Sie entstammt einer Musikerdynastie und träumt davon, eine gefeierte Violinistin zu werden. Doch da sie ein Mädchen ist, wird sie eines Tages heiraten, eine Familie gründen und dann keine Zeit mehr für die Musik haben. Eine Frau als Solistin oder generell als Musikerin – undenkbar zu dieser Zeit.
Sie ist einem Freund des Vaters zur Ehe versprochen, der Vater erhofft sich von dieser Verbindung eine Anstellung im königlichen Hoftheater.
Als Elise dem talentierten Malergehilfen Christian Hildebrand begegnet, entspinnt sich eine zarte Bindung zwischen ihnen – in größter Heimlichkeit und gegen alle Konventionen.
Die Autorin nimmt die Leser mit hinter die Kulissen des Theaters. Hier tummeln sich die verschiedensten Charaktere, Tänzerinnen, Musiker, Sänger, die Menschen in den Werkstätten und die guten Geister im Hintergrund. Hier spielen kleine und große Geheimnisse eine große Rolle, und was auch immer die Zukunft für Elise bringen wird, sie entwickelt sich zu einer selbstbewussten, jungen Frau, die ihre Musik nicht aufgeben will und die ihren Weg machen wird….
Obwohl ich wirklich selten zu einer historischen Geschichte greife, muss ich zugeben, dass dieses Buch eine wunderschöne Gesamtkomposition ist und ich es sehr gerne weiterempfehle.
„Das Theater am Strand“ von Joanna Quinn*
England 1920. Ein großes Herrschaftshaus in Dorset, das einen sofort an „Downtown Abbey“ erinnert. Die 4jährige Christabel, bisher ohne Mutter aufgewachsen, erhält durch die zweite Heirat ihres Vaters Rosalind als Stiefmutter, die sich aber eher nach gesellschaftlicher Anerkennung und Vergnügungen sehnt als eine gute Mutter und Ehefrau zu sein.
Christabels wirkliches Zuhause wird die hauseigene Bibliothek und die Bücher darin. Sie saugt die Geschichten auf, stellt sie nach und kann nicht genug von ihnen bekommen.
„Selbstverständlich hatte niemand daran gedacht, es ihr zu sagen. Auf den Gedanken war niemand gekommen. So wie bei den meisten anderen Dingen, die mit Christabel zu tun hatten. Solche Gedanken waren Gegenstände, nach denen sich niemand bückte, weil sie nicht wertvoll genug waren. Und wie so oft war es letztlich die Dienerschaft, die sich um diese vergessenen Gegenstände kümmerte.“
Als ihre Halbschwester und ihr Cousin alt genug sind, erleben sie gemeinsam Abenteuer als Robin Hood, Schmuggler und Weltentdecker. Auf diese Art machen sie sich ihre Kindheit schön, wachsen sie doch in einem lieblosen Haushalt auf. Ihr Kinderzimmer befindet sich oben auf dem Dachboden, weit genug weg vom gesellschaftlichen Leben ihrer Eltern/Stiefeltern.
„Ihre Lieblingsbücher haben sie so oft gelesen, dass sie nur die Umschläge anschauen müssen, um zu wissen, wie es sich anfühlt, sich darin zu befinden. Doch die Welten in diesen Büchern bleiben nicht zwischen den Buchdeckeln. Sie sickern heraus und überlagern die alltägliche Geografie ihrer Leben.“
Christabel spielt Stücke aus diesen Büchern in einem kleinen Theater aus Papier nach, das sie im Kinderzimmer aufgebaut hat. Als ein toter Wal an die Seeküste Dorsets angespült wird, entsteht aus den Knochen dieses Wals mit Hilfe eines Künstlers und Christabels Regie ein Freilufttheater. Dort werden mehrere Jahre hintereinander all die Geschichten, die die Kinder gelesen haben, sehr erfolgreich aufgeführt.
Als der zweite Weltkrieg ausbricht, muss jedes der Kinder, die mittlerweile erwachsen sind, seinen Beitrag leisten und seine Opfer bringen.
Die Leser begleiten die Hauptpersonen durch den Krieg. Das Leben wird sehr ernst und man muss sich auch im Laufe des Romans von einigen Charakteren verabschieden.
Aber es ist eine großartige, historische und emotionale Familiensaga, die die Liebe zum Lesen, Theater und der Kunst in sich vereint.
Ein Mädchen, das sich in Bücher flüchtet, sie nachspielt und völlig in ihrer Phantasie aufgeht…diese Geschichte um Christabel konnte ich euch nicht vorenthalten.
Ich muss zugeben, dass ich ein Cover-Opfer bei dem Buch war und auch die Aussage „Buch des Sommers“ übte seinen Sog auf mich aus.
Das Cover ist auch nach dem Lesen noch schön, aber das andere Versprechen ist mir zu hoch gegriffen. Das Buch hat definitiv Längen, aber man möchte in der Story bleiben und erfahren, wie es weitergeht, also auch hier meine Empfehlung.
Was Bücher und Kuschelzeit für mich bedeuten
So, ihr Lieben, nun fragt ihr euch wahrscheinlich, was diese Bücher mit Bettinas Kuschelzeit zu tun haben??
Nun, ich genieße es zum Beispiel sehr, dass auch mein Mann ein Leser ist und es schön ist, wenn es eine gemeinsame Lesestunde gibt. Ist fast wie Kuscheln….
Aber für mich ist Kuschelzeit auch gleichbedeutend mit Gemütlichkeit, sich einigeln, es sich schönmachen, Rückzug vor dem Außen und auf andere Gedanken kommen.
Und was gibt es Schöneres als bei gruseligem Novemberwetter – ganz sicher wird es solche Tage geben – auf die Couch mit Decke und gutem Lesestoff?
Klar gibt es auch die eine oder andere gute Serie bei Netflix & Co., aber ich persönlich tauche immer wieder gern zwischen Buchseiten ab.
Und da erlebt man…
- …, dass es schöner ist, wenn man jemanden hat, der einem hilft, sich warm zu kuscheln,
- …, dass Freundschaft einen umarmt, hält und fast so groß wie Liebe sein kann,
- …, dass in Musik eingetaucht werden kann wie in eine große warme Decke und die Welt bleibt außen vor
- …und dass, wenn man Phantasie hat und sie lebt, alles ganz besonders werden kann und die Welt vielleicht doch nicht so schlimm ist?!
In diesem Sinne macht es euch schön kuschelig
Liebe Grüße
Conny @coschcato & @coschcato_loves_books
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